In den fünfziger Jahren unseres Jahrhunderts sorgte die
Kunde, die älteste Briefmarke der welt sei aufgetaucht und stamme aus österreichischen
Landen, in Fachkreisen für beträchtliches Aufsehen, Leute, die wichtige Ereignisse und
allerlei Merkwürdigkeiten in Datenweisern verarbeiten, nahmen sofort dasJahr 1839 darin
auf und versogen seither die Mitwelt gelegentlich mit dieser Nachricht. Zu Unrecht; denn
sie ist falsch, ebenso falsch wie die bewusste Briefmarke.Wenn hingegen davon die Rede ist, dass in den dreissiger Jahren des vorigen
Jahrhunderts ein gewisser Laurenz Koschier, geboren 1804 im krainischen Unter-Luscha bei
Bischoflack, aufklebbare Wertzettelchen in Form von Briefmarken erfunden haben soll,
steckt darin mehr als nur in Körnehen Wahrheit, wie genügend Belege beweisen. Der
altösterreichische Rechnungsbeamte hatte jedoch das Pech, in heimischenGefilden nicht auf
die geringste Gegenliebe für seine Erfindung zu stossen. Daher geriet er mitsamt seiner
grossartigen Idee für lange Zeit in Vergessenheit.
Womit die k.k. österreichische Post der Metternich-Ära ihre
Chance, als Briefmarkenpionier in die Weltgeschichte einzugehen, verspielt hatte; denn die
Fakten liegen so: Die ersten Briefmarken der Welt wurden am 6. Mai 1840 in England
ausgegeben, un dzwar unter dem Generalpostmeister Rowland Hill.
„Der lange Weg zum 1. Juni 1850"
Aus heutiger Sicht schwer begreiflich, aber wahr: Bei der
Ausgabe von Postwertzeichen folgten andere Postverwaltungen dem Beispiel Englands nur
zögernd. Als Österreich sich 1849/50 dazu entschloss, hatte es welweit nur 15
Vorgänger. Da der gleichfalls durch England ausgelöste Schock „Eisenbahn" den
europäischen Kontinent auch erst mit einiger Verspätung erreicht hat, wird das
„Nur" allerdings ein wenigverständlicher; denn immerhein hatten die Götter vor
das sinvolle Aufgreifen der Idee von denBriefmarken eine Menge Schweiss gesetzt:
Unvermeidliche Portoreformen nämlich.
Sie wurden dadurch fällig, dass viele Postsendungen nun
schon per Bahn und nicht mehr per Kalesche reisten. Die althergebrachten, zumeist ziemlich
Posttarife waren auf den Kutschenbetrieb abgestimmt und liessen sich daher nicht mehr
rechtfertigen, als Briefe und Pakete weitaus rascher in Zügen befördert werden konnten.
Die Post kam um eine tiefgreifende Portoregulierung einfach nicht herum - auch wenn die
Finanzbehörde sich damit überhaupt nicht anfreunden wollte.
Im Herbst 1849 war die gründliche Überarbeitung des bislang
so komplizierten Briefposttarifs endlich so weit gediehen, dass sie genehmigungsreif
schien. Zugleich mit den neuen Gebühren solten die aufklebbarenWertzeichen ihre
Bewährungsprobe bestehen. Schlieslich dürfe Österreich auch in dieser Hinsicht
nicht hinter den zivilisierten Staaten Europas zurückbleiben, vermerkte der k.k.
Handelsminister Baron Bruck zum Thema Briefmarken in einem dem Kaiser unterbreiteten
Vortrag, über die Portoreform am 14. September 1849. Elf Tage später waren sämtliche
Punkte des Vortrages ohne Abstriche durch folgende Klausel gebilligt: „ Die Anträge zur
Reform des Brief- und Fahrpost-Tariffes erhalten meine Genehmigung Schönbrunn, den 25.
September 1849. Franz Joseph." Die Post hält dieses Dokument mit der Unterschrift
des neunzehnjährigen Kaisers begreiflicherweise in gebührenden Ehren.
„Vorarbeiten unter Zeitdruck"
Der Auftrag, das Markenprojekt eiligst zu verwirklichen,
erging am 1. Oktober 1849 an den kaiserlichen Rat Dr. Johannes Jakob Herz, der sich in
einschlägigen Missionen schon in München, Brüssel und Londonumgesehen Hatte. Herz
selbst verbreitete sich über die dabei gewonnen Erfahrungen zwar ausführlich, aber über
die tatsächliche Vorgerschichte der ersten österreichischen Briefmarken lässt sich
daraus nichts entnehmen. Und auch die zeitgenössischen Akten - sofern noch greifbar -
schweigen sich über Einzelheiten zum Markenentwurf gründlich aus
Nur im Archiv der Österreichischen Staatsdruckerei AG gibt
es darüber noch aufschlussreiche Niederschriften. Daraus geht hervor, dass der Chef
des renommierten k.k. Staatsbetriebes, Regierungsrat Auer, mit dem postalischen Entwurf
höchst unzufrieden war und es zudem als Kränkung empfand, nicht direkt mit dem
Markenauftrag betraut worden zu sein. Das von ihm geleitete Institut hätte seiner Meinung
nach weitaus bessere Arbeiten geliefert - Arbeiten zumal, neben denen ohne Frage alle
bisherigen ausländischen Wertzeichendrucke verblasst wären, „während der genau nach
der Anleitung des k. Rates Herz angefertigte Stempel sowohl hinter der
Leitschungsfähigkeit als hinter den bisherigen Leistungen der Staatsdruckerei weit
zurückbleibt..."
Da nun aber die Zeite drängte und die Ausgabe ohnedies nur
als Provisorium gedacht war, stiessen dieEinwendungen Auers auf taube Ohren. Er musste am
5. Februar 1850 vielmehr die Weisung des Handelsministers zur Kenntnis nehmen, dass „vor
der Hand die Post-Franco-Stempel nach den vorgelegten Mustern" herzustellen waren.
Alle Diskussionen hatten damit ein Ende gefunden, die Druckvorbereitungen liefen an.
Gleichzeitig erschienen im Verordnunungsblatt für Posten, Eisenbahnbetrieb und
Telegraphen Nr. 25-28 vom 27. März 1850 die neuen „Bestimmungen über die
Briefporto-Taxen und ihre Einhebung durch Briefmarken".
„K.K.Poststempel" in zweifacher Ausgabe
Mit einer Amts wegen vorgenommenen Beschreibung der Neuerung
„Briefmarke" hielten sich die erwähnten Bestimmungen nicht auf; es wurden nur die
5 Werte der Ausgabe und ihre Farben bekanntgegeben. Die marken waren, vom Wertaufdruck und
der Farbgebung abgesehen, durchwegs einheitlich gestaltet. Sie zeigten den Doppeladler des
Staatswappens in einem dekoristen Schild, darüber die Kaiserkrone, über Palmblättern
links einen Lorbeer- und rechts einen Eichenzweig, ganz oben die Inschrift
„K.K.POST-STEMPEL" und unten in einer eigenen Leiste die Wert- und
Währungsangaben.
Die Erstausgabe bestand aus Marken zu 1 Kreuzer (gelb), zu 2 Kreuzern (hellrot), 6
Kreuzern (rotbraun) und 9 Kreuzern (blau). Genauer gesagt: Das waren die Werte der
sogenannten deustchen Ausgabe. Da die Währung von 1 Gulden Conventionsmünze = 60 Kreuzer
jedoch in dem damals von Österreich verwalteten Gebiet Lombardei-Venetien nicht zu
brauchen war - dort war 1 Lira in 100 Centesimi unterteilt -, musste auch an eine
„italienische" Markenausgabe gedacht werden. 1 Kreuzer wurde mit 5 Centesimi
umgerechnet; somit ergaben sich Wertaufdrucke von 5, 10, 15, 30 und 45 Centes(imi).
In allen übrigen Belangen unterschieden sich die „italienischen" Marken von den
„deutschen" jedoch nicht.
In Anlehnung an die damalige österreichische Währung
umfasste ein Markenbogen 60 Einzelmarken, also 8x8 Markenfelder, wovon vier allerdings
kein Wertzeichen, sondern nur den Aufdruck eines liegenden Kreuzes („Andreaskreuz")
enthielten. Die Marken mussten von den Bogen abgeschnitten werden, denn eine Perforierung
gab es noch nicht. Für das Aufkleben lautete die amtliche Weisung: Bei gewöhnlichen
Briefen auf der Vorderseite des Kuverts oben in der Mitte; die bei Einschreibsendungen
fällige Zusatzgebühr hingegen war auf der Siegelseite des Briefes in Marken auszuweisen.
Die neue Wortbildung „Briefmarke"
Obgleich auf den im Frühjahr 1850 gerade im Druck
befindlichen österreichischen Marken „provisorien" die Bezeichnung
„K.K.POST-STEMPEL" zu lesen stand, stellte die oberste Postbehörde die
kleinenKlebezettelchen zur Vorausbegleichung des Portos in der Einführungsvervordnung
ganz offiziell als „Briefmarken" vor.
Das war überraschend; denn damit war ein neuer Name für
etwas aufgetaucht, das zur gleichen Zeit im übrugen deustchprachigen Raum
Frankaturzeichen (Zürich 1843), Frankozettelchen (Basel 1845) oder Franko-Marke (Bayern
1849) hiess. Bei der österreichischen Post hingegen hatte man letzten Endes für die
neuartigen postalischen Aufkleber keine Wortbildung mit Franko- („Porto bezahlt")
geprägt, sondern - wohl in Erinnerung an gewiesse Vorakten, in denen ein gewisser Laurenz
Koschier schon ähnliche Formulierungen ausprobiert hatte - gleich von Anfang an jener
geradezu genial einfachen Bezeichnung den Vorzug gegeben, die sich später im ganzen
deustchen Sprachgebiet eingebürgert hat.
Post- und andere „Stempel"
Auch wenn in der zugehörigen Verordnung von Briefmarken die
Rede war: Die auf der ersten österreichischen Wertzeichenausgabe gedruckte
Bezeichnung „K.K.POST-STEMPEL" verriet noch starke Bindungen an die Tradition; denn
wenn bislag von „Stämpeln" die Rede war, galt dieser Ausdruck im Bereich der
staatslichen Verwaltung einer bestimmten Art der Abgabenentrichtung, eben jener durch
„Papierstämpel", wie der Briefbogen mit amtlich eingedruckter Vignette hiess.
(Stempelmarken kamen erst 1854 auf den Markt.) Rechtgeschäfte, Ankündigungen,
Amsthandlungen usw. unterlagen der Stempelpflicht im fiskalischen Sinne.
Bei der Verwendung von Briefmarken handelt es sich nun zwar
kineswegs um die Entrichtung einer Abgabe, sondern um die Vorauszahlung des
Beförderungsentgelts, aber so genau hat man es 1850 anscheinend nicht genommen. Die
Benützer hatten der staatslichen Pots etwas zu bezahlen, also schien der Ausdruck
„POST-STEMPEL" für erste gerechtfertigt. Grössere Schwierigkeiten mit diesem
Begriff stellten sich freilich bald ein; die Marken mussten ja nach allen Regeln der Kunst
entwertet werden, und dazu diente ebenfalls ein „Poststempel", nunmehr in Form
eines Gerätes.
Um die Verwirrung der Begriffe nicht auf die Spitze zu
treiben, hilet man es um die Mitte des 19. Jahrhunderts für angebracht, weinigstens den
Vorgang der Markenentwertung eindeutig gegenüber anderen Inhalten des Begriffes
„Stempel" abzugrenzen. Man sprach zunächst von der Vernichtung oder Vertilgung der
Wertzeichen, entschied sich jedoch bald für das weniger brutal klingende Fremdwort
„Obliterirung"; mit dem vorschriftsmässig bei allen Ämtern vorhandenen „Orts-
und Datumstempel" war diese wichtige Dienstobligenheit nummehr zu besorgen.
Bei den Kunden wie bei der Post: Umdenken ist gefragt
Während sich etliche Jahre später der Postdienst ohne das
Rationalisierungsmittel Briefmarken kaum mehr vorstellen liess, dürfte es im Österreich
des Jahres 1850 genau umgekehrt gewesen sein. Zunächst waren es begreiflicherweise die
Postbenützer, die davon überrascht unf betroffen waren. Dies nicht allein deshalb, weil
sie jetzt mit Wertzeichen manipulieren und sich über die Höhe der vorgeschriebenen
Gebühren selbst informieren mussten, sondern weil nunmehr, wenigstens im Inlandsverkehr,
der Freimachungszwang beim Absender lag.
Das war bislang keineswegs selbstverständlich gewesen: Der
zuletzt ergangenen Taxordnung von 1817 zufolge konnte das Porto wahlweise bei der Aufgabe
oder bei der Abgabe des Poststücks entrichtet werden. Es war also nicht weiter
verwunderlich, dass noch entliche Monate nach dem 1. Juni 1850 unfrankierte Briefe
in den Briefkästen landaten. Andererseits - als Pluspunkt konnten die „Parteien"
postalische Bürgernähe verbuchen, denn es war bald nicht mehr notwendig, sich zum Erwerb
von Briefmarken auf ein Postamt zu begebn. Die Wertzeichen wurden auch priivaten
„Verschleissern" (Warenkleinhändlern) zum Verkauf überlassen, falls sie ihr
Geschäft mit einem entsprechenden Hinweis ausstatteten und in oder vor dem Laden einen
Briefkasten anbrachten.
Amstbekannt war freilich auch, dass nicht wenige Postler die
Neuerung Briefmarken nicht mit der gebotenen Dienstbeflissenheit propagiertne. Um die vom
Staat besoldete und daher zuweilen etwas selbsherrlich agierende Kollegenschaft an ihre
Amtspflichten zu erinnern, liess der Generaldirektor daher gedruckt jene Dank- und
Anerkennungsschreiben verbreiten, die der kleine Postexpeditor Joseph Mais in Amstetten
für seine Aufklärungsarbeit in Sachen Briefmarken einheimsen konnte und fügte die
Ermahnung an: „Möge doch Jeder sich stets gewärtig halten, dass die Zeit vorbei ist,
wo es genügend schien, Verordnungen zu schreiben und gedruckte oder geschriebene
Kundmachungen an die schwarze Tafel zu heften, ohne sich weiter zu bekümmern, ob die
Ersteren befolgt, die Letzteren verstanden werden, und ins praktische Leben
übergehen." Der Umgang mit Briefmarken stellte also gleichzeitig neuen Weichen in
Richtung Kundendienst.
Der erste bekannte Markenkünstler
Für eine nur als Provisorium gedachte Wertzeichenausgabe
hatte jene von 1850 ein recht zähes Leben; immerhin erfolgte die nächste
Freimarkenenmissionen erst 1858. Man hatte das Thema zwar keineswegs aus den Augen
verloren, aber es mangelte micht an Schwierigkeiten und Problemen. So verursachte
beispielsweise allein die Absicht, das Bild des Monarchen auf Briefmarken wiederzugeben,
einiges Kopfzerbrechen; würde es durch das „Obliteriren" nicht ungebührlich
beeinträchtigt? Es bedurfte einiger Jahre, um solche und andere Fragen zu klären.
Immerhin galt es ja auch, für die Perforierung der Markenbögen eine optimale Lösung zu
finden und zudem die Einführung der neuen „Österreichischen Währung" abzuwarten,
der zufolge nunmehr 1 Gulden (ö. W.) in 100 Kreuzer unterteilt war.
Neue Wertzeichen erschienen trotzdem schon ein halbes Jahr nach dem
„K.K.POST-STEMPEL", denn am 1. Jänner 1851 gab Österreich als erste
Postverwaltung der Welt eigene Zeitungsmarken aus. Auf ihr ebenso interessantes wie
wechselvolles Schicksal soll hier nicht näher eingegangen werden; im Zusammenhang mit den
Briefmarken ist nur bemerkenswert, dass die Idee, die quadratischen Zeitungsmarken mit dem
Kopf des römischen Gottes Merkur zu zieren, dem Leiter der Staatsdruckerei zugeschrieben
wird. Regierungsrat Auer konnte sein Institut also wenigstens beim zweiten Markendruck ins
Spiel bringen. Für den künstlerichen Entwurf der „Merkure" sorgte der
Kupferstecher Josef Axmann. Er ging damit insoferne in die Geschichte des
österreichischen Briefmarkenschaffens ein, als es sich bei ihm nachweislich um die erste
Künstlerpersönlichkeit handelt, die sich mit der „Kunst der kleinen Form"
auseinandergesetzt hat.
Die ungelöste Frage
Begreiflicherweise regt die erste österreichische
Briefmarkenausgabe nach wie vor Philatelisten und Forscher zu Neuentdeckungen an. Die
Marken weisen ja eine Vielzahl von Nachdrucken mit Typenunterscheidungen und Abarten auf,
die sich durch die Abnützung der Druckstöckel, durch das Einlöten von Ersatzstöckeln,
durch Nachgravierung und Papieränderung, den Austausch von Wertziffern usw. ergeben
haben. Viele einstige „Geheimnisse" dieser Ausgabe sind als längst keine
Geheimnisse mehr. Bekannt ist auch, dass der Markenentwurf von dm Graveur Hermann
Tautenhayn in Stahl geschnitten wurde.
Wer aber hat den Entwurft vorgelegt bzw. verfasst? Sofern die schon zitierten Aussagen des
Chefs der Staatsdruckerei aus 1850 wortwörtlich genommen werden dürfen - und es
besteht kein Anlass, das nicht zu tun! - hat ihn der zwar vielseitig begabte, aber
überaus ehrgeizige und daher nicht sonderlich beliebte Dr. Johannes Jakob Herz ins Spiel
gebracht. Ob er ihn selbst gezeichnet hat oder zeichnen liess, ist ungeklärt und reizt
daher zu Spekulationen. Zeitdokumente sagen darüber jedoch nichts aus.
So hat sich die allererste und gewiss auch am besten
erforschte Briefmarkenausgabe Österreichs doch noch ein kleines Geheimnis bewahrt.
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